Ein Schlachthofskandal, der keiner ist

Im Gärtringer Schlachthof werden versteckte Kameras an die Decke gehangen. Über wenige Tage filmen sie den Schlachthofalltag, in dem Tiere auch für viele regionale Metzgereien getötet werden. Als das Material von der SOKO Tierschutz gesichtet wird, werden Szenen grausamer Tierquälerei festgestellt. Ist das ein Skandal? Sind die Aufnahmen also nicht der Normalfall? Hat Thomas Pogorzalek, Inhaber der Metzgerei Hanselmann in Tübingen, somit recht, wenn er behauptet, die Zustände seien "kein Dauerzustand"?

Die Aufnahmen sind kein Skandal. Sie sind der ebenso brutale wie profane Schlachthofalltag. Die Einblicke in den Gärtringer Schlachthof reihen sich in eine Serie anderer Schlachthofaufdeckungen in Deutschland. Derer gab es allein in der jüngeren Vergangenheit zwölf, angeregt durch verschiedene Tierschutzorganisationen. Zwölf Schlachthöfe, zwölf Gelegenheiten zur Anbringung versteckter Kameras, zwölf Mal dieselben Bilder. Tiere, die ohne Betäubung aufgeschnitten werden, die schreien, zappeln, langsam verbluten. Tiere, auf die unablässig eingeprügelt wird. Tiere, die mit Elektroschockern gepeinigt werden, immer und immer wieder. Tiere, die lahmen und umhergeschliffen werden. Oder einfach nur brutaler Sadismus, wenn Augen ausgestochen werden, in Genitalien geschlagen wird, Schwänze gebrochen werden und vieles mehr. All das widerspricht nicht nur dem bestehenden Tierschutzgesetz, sondern ist auch moralisch kaum zu ertragen.

Bei vielen der Schlachthofaufdeckungen ist zudem zu sehen, dass staatliche Kontrolleure nicht eingreifen. Selbst die schlimmsten Tierquälereien werden von ihnen nicht verhindert. Es gibt eine exekutive „Erstarrung gegenüber einem offen illegalen System“, eine „faktische Straflosigkeit organisierter Agrarkriminalität“, wie es der Mannheimer Rechtswissenschaftlicher Jens Bülte ausdrückt. In dem devianzförderlichen Umfeld von Schlachthöfen werden, so Bülte weiter, Gelegenheitsstrukturen geschaffen, die „in einer Kultur des Wegsehens in organisierter Form genutzt werden“. Die industrielle Tötung von Tieren erzeugt eine Normalität der Tierquälerei, die zwar theoretisch häufig illegal ist, aber aufgrund ihrer Alltäglichkeit nicht weiter Beachtung findet. Durch die tägliche Praxis innerhalb der abgeschotteten tierindustriellen Betriebe werden Verhaltensweisen und Umstände zur dort nicht weiter beachtenswerten Normalität. Erst wenn die Brutalität für Außenstehende sichtbar wird, so wie im Falle Gärtringen, löst sie Bestürzung aus.

Zwölf aufgedeckte Schlachthöfe, und der Gärtringer Schlachthof reiht sich nahtlos in die Serie ein. Es ist die pure Normalität, die die Bilder aus Gärtringen zeigen. Schlachten bedeutet, Tieren gegen ihren Willen mit Gewalt das Wichtigste zu nehmen, was sie haben, nämlich ihr Leben. Ist es also damit getan, „Schwachstellen im Schlachtablauf“ oder „bauliche Mängel“ zu beheben, wie es Günther Egeler, Obermeister der Tübinger Fleischerinnung, vorschlägt? Bringt der geplante Neubau eines Schlachthofs im Raum Rottenburg Veränderung? Die Antwort kann nur lauten: Nein. Die Pläne um eine „Reformation“ des Schlachtens sind keine Lösung. Der nun bestehende Diskurs fokussiert sich zu sehr auf Scheinlösungen. Auch der dreizehnte zukünftig aufgedeckte Schlachthof, egal ob klein oder groß, ob alt oder modern, wird Bilder von gequälten Tieren zeigen. Die Lösung, um das Leiden zu verhindern, ist, es durch sein Einkaufsverhalten nicht mehr zu unterstützen. Fleischverzicht ist angesichts des großen Angebots an leckeren Fleischalternativen kein Verzicht mehr. Er ist ein Gewinn, nicht nur für die Tiere. Es ist die Lösung, damit die Bilder, die aus Gärtringen an die Öffentlichkeit gedrungen sind, der Vergangenheit angehören.

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